Volkssturm-Einträge im Wehrpass – Sammler, Vorsicht!
Als Sammler von "Volkssturm Berlin-Papier" hatte ich bereits in der Vergangenheit auf Militaria-Foren über Volkssturm-Notizen im Wehrpass gelesen. Bis jetzt hatte ich noch nie einen solchen Wehrpass gesehen, bis zu dieser Woche .....
Jemand bot mir einen Wehrpass mit einem Begleitdokument an, geschrieben von Gau 3 für den Berliner Volkssturmmann Otto F A N D R I C H. Dieser Wehrpass enthält einige Volkssturm-bezogene Notizen.
Ich beschloss, diesen Wehrpass gründlich zu untersuchen .
Das Begleitdokument, das mein Interesse an diesem Konvolut geweckt hat
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Dieses Dokument, am 23. Februar 1945 von einem Bataillonsführer unterschrieben, hatte die Absicht, "Herr" Otto FANDRICH, der in (Tiergarten) Alt-Moabit 35 wohnte, einzuberufen zu einem mehrwöchigen Volkssturm Einsatz .
Der deutsche Wehrpass im Allgemeinen
Der Wehrpass wurde ab 1.4.1936 bei der Musterung oder nach erfolgter Freiwilligenannahme angelegt und dem Inhaber ausgehändigt vom Wehrbezirkskommando (Wehrmeldeamt).
Dem Wehrbezirkskommando und den unterstellten Wehrmeldeämter oblag die Wehrüberwachung der Wehrpflichtigen.
Der Wehrpass war der urkundliche Ausweis des Wehrpflichtigen über sein Wehrdienstverhältnis während der gesamten Dauer der Wehrplicht und über die Vorausgegangene Erfüllung der Arbeitsdienstpflicht. Er sollte über den vollständigen militärischen Werdegang, auch über Dienstzeiten im 1. Weltkrieg, Auskunft geben. …
Im Kriege wurden die Wehrpässe der Soldaten bei den Feld- und Ersatzeinheiten verwahrt und entsprechend den Eintragungen der Kriegs- oder Truppenstammrolle weitergeführt.
Wehrpässe von zur Entlassung kommenden Soldaten wurden nach Übertragung in die Wehrstammbücher endgültig ausgehändigt.
Daten aus: Rudolf Absolon, Wehrgesetz und Wehrdienst 1935-1945
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Dieses Bild vom BA zeigt einen Arbeitsplatz in einem Wehrbezirkskommando.
Aufstellung des Volkssturms
Um zu dokumentieren, daß es sich bei den aufzustellenden Verbänden um etwas anderes handelte als den nach dem Wehrpflichtgesetz möglichen Landsturm, der in diesem Fall von der Wehrmacht aufzustellen war, gebrauchte man Mitte September in der Parteikanzlei den Ausdruck „Volkswehr“, später „Volkssturm“ (Seidler, Deutscher Volkssturm, S. 37 u.38.)
De Volkssturm war in der Tat eine politische Schöpfung der NSDAP
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Artikel aus “Völkischer Beobachter”, Ausgabe Berlin vom 20.Oktober 1944
Die Erfassung des Volkssturms
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Artikel aus “Völkischer Beobachter”, Ausgabe Berlin vom 20.Oktober 1944
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Auszug aus der Partei-Kanzlei Anordnung 318/44 vom 12. Oktober 1944
Die in den Ortsgruppen organisierten Appelle dienten dazu, die Militärvorgeschichte und Tauglichkeit der Kandidaten zu überprüfen, um sie in die richtige Kategorie (Aufgebot) einzutragen.
Die notwendigen Informationen stammten natürlich weitgehend aus dem Wehrpass, den jeder deutsche Mann hatte der nicht schon in der Wehrmacht diente..
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Artikel aus “Völkischer Beobachter”, Ausgabe Berlin vom 19.10.1944
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Nach Übernahme der notwendigen Daten in der NSDAP-Ortsgruppe verblieb der Wehrpass weiter beim Volkssturmmann und wurde in der weiteren Verwaltung innerhalb des Volkssturms nicht mehr benötigt.
Nach dem Appell in den Ortsgruppen wurde allen Männern eine Bescheinigung ausgehändigt, die sie mit ihrem Wehrpass mitzuführen hatten und die sie als "Volkssturmmann" oder als "vom Volkssturm zurückgestellt" auswies.
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Auszug aus der Partei-Kanzlei Anordnung 318/44 vom 12. Oktober 1944
Weitere Administration im Volkssturm
Für jeden einzelnen wurde ein Stammblatt zur Erfassung der Personalien angefertigt. In jeder Kompanie gab es darüber hinaus eine Stammliste, die dreifach erstellt werden mußte und gleichzeitig Erkennungsmarken- und Soldbuchnummernverzeichnis darstellte. Beim Einsatz erhielt das zweite Exemplar die Gauleitung und das dritte Exemplar die Wehrmachtauskunftstelle für Kriegsverluste und Kriegsgefangene in Saalfeld. Bei Versetzungen zu einer anderen Einheit wurde dieser das Stammblatt zugeschickt und der name in den Stammlisten der alten Einheit gelöscht. In der neuen Einheit bekam der Volkssturmmann eine neue Stammlistennummer. (Seidler, Seite 105)
Synthese
Das Obige zeigt, dass die Rekrutierungsketten für die Wehrmacht und den Volkssturm völlig unabhängig und parallel verliefen.
- Die Wehrmachtseinberufungen wurden von der WBK/WMA an die Wehrpflichtigen gesandt. Die Wehrmacht organisierte eine eigene medizinische Untersuchung zur Feststellung der Tauglichkeit. Alle relevanten Daten wurden von den Dienststellen der Wehrmacht (u.a.) im Wehrpass registriert.
- Die Kandidaten für den Volkssturm wurden von den NSDAP-Ortsgruppen einberufen, und "eigene" Ärzte waren für alle medizinischen Untersuchungen zuständig. Außerhalb der Ortsgruppe fand die Verwaltung der Volkssturmmänner nur in der Volkssturmeinheit statt, in der die betreffende Person diente. Zu diesem Zweck diente das Stammblatt.
Es gab also keine Verbindung zwischen diesen beiden Rekrutierungsketten, außer:
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Auszug aus Partei-Kanzlei Anordnung 318/44 vom 12. Oktober 1944
Kein Volkssturmmann im wehrpflichtigen Alter, gleich welchem Aufgebot er zugeteilt worden war und welche Funktion er wahrnahm, war vor dem Zugriff der Wehrmacht sicher. Die Drohung, einberufen zu werden, lag insbesondere über den uk-gestellten Männern. Wer den Einberufungssschein erhielt, hatte sich unverzüglich bei seinem Ausbildungs- bzw. ersatztruppenteil zu melden … und damit erlosch seine Zugehörigkeit zum deutschen Volkssturm. Deshalb bedeutete es eine erhebliche Beeinträchtigung für die Kampfkracht des Volkssturms, als im Dezember 1944 die letzten tauglichen Hitlerjungen des Jahrgangs 1928 zum Wehrdienst einberufen wurden. (Seidler S. 105-107)